Erste Hilfe? MICH betrifft das doch nicht..
- Claudia
- vor 2 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Oder doch?

Wenn man an Erste Hilfe denkt, hat man schnell die Autobahn im Kopf: Blaulicht, Unfälle, fremde Menschen, die man beatmen soll, Herzdruckmassage auf dem Asphalt. Und gleichzeitig denkt man: Das wird mir schon nicht passieren. Ich werde doch niemanden wiederbeleben müssen. Was viele jedoch nicht bedenken: Die meisten Notfälle passieren im ganz normalen Alltag – beim Abendessen, beim Sport, im Kinderzimmer, beim Besuch der Eltern oder Großeltern. Oder einfach zu Hause – bei den Menschen, die uns am nächsten sind.
Und genau deshalb ist Erste Hilfe mehr als ein Pflichtkurs für den Führerschein. Es geht nicht nur darum, Fremden helfen zu können. Oft trifft es jemanden, der einem nahesteht. Doch egal, wen es betrifft – sich mit Erster Hilfe auseinanderzusetzen bedeutet auch, selbst besser durch eine Ausnahmesituation zu kommen. Wer vorbereitet ist, kann besser helfen – und besser mit dem Erlebten umgehen. Denn was viele vergessen: Notfälle betreffen nie nur den Körper. Sie hinterlassen Spuren. Und genau da beginnt das, was in der Gesundheitspsychologie als Psychohygiene bezeichnet wird.
Als Systemische Gesundheitsberaterin sehe ich Prävention nicht nur in Form von Ernährung, Bewegung oder Stressbewältigung. Auch die Fähigkeit, in akuten Situationen handlungsfähig zu bleiben – und sie später gut zu verarbeiten – gehört dazu. Erste Hilfe ist Fremdschutz und Selbstschutz zugleich. Denn es geht um mehr als Technik und Notrufnummern. Es geht um Verantwortung – für andere und für sich selbst. Und genau deshalb gehört sie für mich ganz klar zur Prävention.
Vor wenigen Tagen fand deshalb in meiner Praxis eine Herzsicher-Schulung statt – in Kooperation mit der Björn-Steiger-Stiftung. Das Angebot richtet sich an Vereine und Organisationen – und ist alles andere als ein trockener Pflichtkurs. Neben der praktischen Reanimation (inklusive Möglichkeit zum Üben!) ging es auch um die seelische Seite: Was macht so eine Situation mit einem? Wie verarbeitet man das, was man erlebt hat – ob als Helfende oder als Beobachter:in? Ein großes Dankeschön an Andreas Schultheis, der viele Einsätze im Rettungsdienst begleitet hat und mit seiner Erfahrung eindrucksvoll vermittelt hat, warum genau das so wichtig ist. Erste Hilfe endet nicht nach der letzten Kompression.
Wenn es plötzlich ernst wird
Die Vorstellung, dass jemand direkt neben einem zusammenbricht, ist unangenehm. Aber sie ist realistischer, als viele denken. Statistisch gesehen erlebt fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens mindestens einmal eine Situation, in der Erste Hilfe nötig wird – ob bei Eltern, Kindern, Partnern oder Kolleg:innen. Und dann? Dann ist es gut, nicht völlig unvorbereitet zu sein. Nicht nur aus medizinischen Gründen – sondern auch, weil wir psychisch besser mit Extremsituationen umgehen können, wenn wir wissen, was zu tun ist. Vorbereitung schafft Sicherheit. Auch im Kopf.
Doch die Wahrheit ist unbequem: Viele wissen im Ernstfall nicht, was zu tun ist. Oder trauen sich nicht. Weil der letzte Kurs 20 Jahre zurückliegt. Weil man Angst hat, etwas falsch zu machen. Oder weil man denkt, Hilfe sei vor allem etwas für Profis. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Jeder kann helfen. Und jeder sollte wissen, was heute bei der Laienreanimation empfohlen wird.
Aktuelle Leitlinien für Ersthelfer:innen

Viele Menschen wissen gar nicht, dass sich die Empfehlungen zur Ersten Hilfe verändert haben. Wer heute einen Erste-Hilfe-Kurs macht, lernt: Bei Erwachsenen ist die Beatmung für Laien nicht mehr notwendig. Der Fokus liegt auf der Herzdruckmassage. Der Grund: Die Hemmschwelle sinkt, Fehlerquellen werden reduziert – und die Sauerstoffreserven im Blut reichen in den ersten Minuten meist aus. Entscheidend ist, dass das Blut überhaupt weiter zirkuliert.
Die wichtigsten Schritte:
• Prüfen, ob die Person ansprechbar ist.
• Den Notruf 112 wählen.
• Atmung kontrollieren – nicht länger als 10 Sekunden.
• Wenn keine normale Atmung vorhanden ist: Herzdruckmassage starten.
Die Massage sollte:
• mit etwa 100–120 Mal pro Minute erfolgen,
• mittig auf dem Brustkorb, auf Höhe des unteren Brustbeins,
• mit durchgestreckten Armen und beiden Händen,
• etwa 5–6 cm tief sein.
Als Merkhilfe eignet sich übrigens Musik: Zum Beispiel hat der Song Stayin’ Alive ziemlich genau das richtige Tempo. Wer mitsummt, bleibt im Takt – und ruhig.
Und wenn sich ein AED (automatisierter externer Defibrillator) in erreichbarer Nähe befindet – etwa in öffentlichen Gebäuden, Sportstätten oder auf Veranstaltungen – und eine zweite Person vor Ort ist, die das Gerät holen kann, während parallel die Reanimation beginnt, dann kann er eine wertvolle Ergänzung sein. Die Geräte sind selbsterklärend, führen strukturiert durch den Ablauf und können im Ernstfall entscheidend sein.
Und danach? Erste Hilfe endet nicht nach der letzten Kompression
Was selten Thema ist: Was passiert eigentlich mit mir – nach dem Notfall?
Auch wenn man alles „richtig“ gemacht hat, kann es emotional nachwirken. Vielleicht war es ein Familienmitglied. Oder ein Kind. Vielleicht ist man zu spät gekommen. Oder man hat einfach nur daneben gestanden, weil man sich nicht getraut hat. Das geht an die Substanz. Und deshalb gehört Psychohygiene genauso zur Ersten Hilfe wie die Nummer 112.
Psychohygiene heißt: sich vorbereiten, damit man in der Situation stabil bleibt – und danach nicht mit Schuldgefühlen, Ohnmacht oder Überforderung zurückbleibt. Wer weiß, was zu tun ist, hilft nicht nur besser, sondern kommt auch selbst besser durch. Und genau das ist ein zentraler Aspekt von Prävention: Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Niemand erwartet den idealen Rhythmus, den perfekten Griff oder das klinische Vorgehen. Was zählt, ist überhaupt zu handeln – und sich selbst nicht im Weg zu stehen.
Wer sich im Vorfeld mit Notfallsituationen beschäftigt, gewinnt mehr als Fachwissen. Man gewinnt Sicherheit. Handlungskompetenz. Und das gute Gefühl, im Ernstfall nicht völlig ausgeliefert zu sein. Auch das ist ein Teil seelischer Gesundheit – und lässt sich trainieren. Nicht nur technisch, sondern auch psychologisch.
Mehr als Verbände und Reanimation – auch ein Thema für die Systemische Gesundheitsberatung
In meiner Praxis für Systemische Gesundheitsberatung geht es häufig um Prävention, Gesundheitsförderung und psychische Stabilität. Dabei denken viele zuerst an Ernährung, Bewegung oder Stressmanagement. Aber auch akute Notfälle – und die Art, wie wir ihnen begegnen – gehören in diesen Kontext. Sie sind Ausnahmezustände. Und sie lassen sich nie vollständig vermeiden. Aber: Wir können uns ihnen besser stellen, wenn wir vorbereitet sind.
Deshalb wird es – neben Einzelberatungen und Coachings – auch künftig Veranstaltungen zur Ersten Hilfe und zur Rolle von Psychohygiene in meiner Praxis geben. Als Teil eines umfassenden Verständnisses von Gesundheit. Denn nicht nur chronischer Stress, Beziehungsprobleme, Bewegungsmangel oder ein schwieriges Essverhalten können unsere Psyche belasten. Auch der Moment, in dem plötzlich alles stillsteht. Und dann ist es gut, wenn man innerlich nicht völlig unvorbereitet ist.
Mehr Informationen zu weiteren Terminen folgen bald – oder gern direkt anfragen.
Quellen:
– Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Erste Hilfe – Warum sie Leben rettet. gesund.bund.de/erste-hilfe
– Deutscher Rat für Wiederbelebung (GRC). Leitlinien zur Laienreanimation. grc-org.de
– European Resuscitation Council (ERC). Guidelines 2021 – Basic Life Support and AED.
– Karolinska Institutet / Palacký University Olomouc. Lay first aid giving as a specific traumatic experience. Psychol. Problems Hum. Behav. 2014.
– International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies. First aid for a safer future – Focus on Europe. 2009.



